Für die meisten Menschen ist es sehr überraschend, zum ersten Mal einen Keratokonus zu sehen. Sie fragen sich: „Wie kann ein Auge eine solche Form annehmen? Was bewirkt der Keratokonus in meinen Augen? Hierzu der Schweizer Augenchirurg Prof. Dr. Dr. Farhad Hafezi, Medizinischer Direktor des ELZA Institutes, Dietikon, Zürich (www.elza-institute.com): „Um dies zu beantworten, müssen wir zwei Dinge verstehen: 1. Das Auge wird durch Flüssigkeit unter konstantem Druck gehalten (damit die Augenform immer die gleiche bleibt) und 2. die Hornhaut muss nicht nur transparent sein, sondern auch stark genug, um diesem inneren Druck widerstehen zu können. Was passiert, wenn die Hornhaut aus irgendeinem Druck nicht stark genug ist, dem Druck zu widerstehen? Sie wölbt sich nach vorne, und anstelle einer regelmässigen Wölbung fängt die Hornhaut an, wie ein Kegel auszusehen. Besser verstehen, was die Hornhaut stark macht – Forscher nennen dies „Hornhaut-Biomechanik“ – und welche Ursachen dazu führen, dass die Festigkeit der Hornhaut abnimmt, ist nicht nur wichtig, um Erkrankungen wie den Keratokonus zu verstehen, sondern auch für die Augenlaser-Chirurgie.
In seinem Vortrag vor dem Jahreskongress der Schweizerischen Vereinigung der Optometristen (SBAO) am 15. September identifiziert Hafezi den wichtigsten Einzelfaktor bei der Entwicklung des Keratokonus: „Es ist ganz klar: Ihre Augen zu reiben, ist eine schlechte Idee. Es ist nicht gänzlich geklärt, ob das Augenreiben selber den Keratokonus auslöst, oder ob vorgängig andere genetische oder umweltbedingte Faktoren vorhanden sein müssen. Ganz klar jedoch ist, dass Augenreiben Ihre Hornhaut schädigen und den Keratokonus deutlich verschlechtern kann.“ „Aber Augenreiben bei Müdigkeit oder bei brennenden Augen ist etwas Weitverbreitetes. Ich verstehe dies und wenn Sie unbedingt ihre Augen reiben müssen, so reiben Sie sie mit Ihren Fingerspitzen, nicht mit den Knöcheln und wenn möglich um das Auge herum und nicht direkt auf dem Augapfel. Dies ruft das befriedigende Gefühl des Augenreibens genauso hervor und bewirkt viel weniger Verletzungen der Hornhaut“, sagt Hafezi.
Hormone
Wie er den SBAO-Mitgliedern mitteilte, können Hormone die Hornhaut ebenfalls schwächen. Die Schwangerschaft ist ein klassisches Beispiel. Der Körper von schwangeren Frauen gibt mehr Progesteron ab. Dies ist in der Spätschwangerschaft ein Vorteil ist: es weicht das Bindegewebe auf, was es dem Baby erleichtert, durch den Geburtskanal zu gelangen“. Aber Progesteron weicht auch die Hornhaut auf – und dies kann ein Problem sein. Falls die Mutter vor der Schwangerschaft eine Augenlaser-Chirurgie hatte oder eine bereits geschwächte Hornhaut durch einen unentdeckten Keratokonus (oder in der Vergangenheit viel an den Augen gerieben hat), dann ist die Hornhaut bereits geschwächt und die Keratokonus kann das Problem aufdecken. Dies gilt wahrscheinlich auch für Frauen, die mittels In-vitro-Fertilisierung schwanger werden wollen: die Hormone, welche sie während dieses Prozesses verabreicht bekommen, können die Hornhaut ebenfalls aufweichen. „Falls Ihre Sehkraft während der Schwangerschaft oder einer IVF-Behandlung schwankt, dann ist es wichtig, einen Keratokonus oder eine ähnliche Erkrankung auszuschliessen“, so Hafezi.
Es sind aber nicht nur die Geschlechtshormone: auch das Schilddrüsenhormon ist wichtig. Bei Menschen mit Keratokonus ist eine Unterfunktion der Schilddrüse zehnmal häufiger als in der Normalbevölkerung und es gibt viele Fallbeispiele von Patienten, welche nach einer operativen Entfernung der Schilddrüse einen Keratokonus entwickelt hatten. Daher ist es wichtig, dass alle Patienten mit Keratokonus auf eine Unterfunktion der Schilddrüse untersucht werden und dass alle Patienten mit einer Unterfunktion der Schilddrüse ein Keratokonus-Screening erhalten.
Den Keratokonus behandeln
Es gibt heutzutage eine effiziente Behandlung des Keratokonus, welche die Hornhaut stärkt und die Erkrankung stoppt: Das Cross-Linking der Hornhaut (CXL), bei welchem ultraviolettes Licht und Vitamin B2 (Riboflavin Augentropfen) die Kollagenmoleküle in der Hornhaut quervernetzen und mechanisch verstärken. Dies flacht auch die kegelförmige Form der Hornhaut in einem gewissen Masse ab. Das Cross-Linking der Hornhaut ist effektiv, aber es verbessert nicht die Sehkraft der Patienten und der Effekt auf die Hornhaut ist bei jedem Patienten etwas verschieden.
Warum? Wegen der Biomechanik der Hornhaut. Jeder Mensch hat eine unterschiedliche Hornhaut. Hafezi merkt an: „Wenn man die Stärke der Hornhaut einer Person in Form einer Hornhaut-Landkarte aufzeichnen könnte, dann wäre dies ein weitreichender Vorteil. Patienten mit einer vorhandenen, aber bisher unentdeckten Schwächung der Hornhaut könnten identifiziert werden. Ein besseres Verständnis, wo die starken und schwachen Areale in der Hornhaut eines Menschen liegen, könnte auch helfen, die CXL-Behandlung individuell anzupassen und den Patienten nicht nur eine Behandlung angedeihen zu lassen, welche den Keratokonus stoppt, sondern welche potentiell auch die Sehkraft verbessern könnte“.
Die Zukunft
Das Problem ist, dass es bis jetzt unmöglich war, in einem lebendigen Auge die mechanische Festigkeit der Hornhaut direkt zu messen. Bisher war dies indirekt möglich, so z.B. durch einen starken Luftdruck auf das Auge und Hochgeschwindigkeitskameras (die dann filmen, wie die Hornhaut auf den Luftstoss reagiert), oder beim „toten Auge“ (z.B. in einem Hornhauttransplantat, welches entfernt wurde. Aber die Medizindiagnostik entwickelt sich laufend weiter. Es gibt nun ein neues Gerät, das die Hornhautstärke im menschlichen Auge landkartenartig messen kann: das Brillouin-Mikroskop. Dies ist eine Maschine, die zurzeit noch in Entwicklung ist, und es gibt nur wenige Exemplare weltweit. Das ELZA-Labor in den USA verfügt über eine solche Technologie und sie wird zurzeit unter der Leitung von J. Bradley Randleman klinisch und präklinisch eingesetzt. Die ersten Resultate sind sehr vielversprechend. Aber es gibt eine weitere wichtige Anwendung des Brillouin-Mikroskops: den Effekt den Augenlaser-Chirurgie vorherzusagen.
„Die Augenlaser-Chirurgie war noch nie so sicher und so vorhersagbar“, erklärt Hafezi. „Wir können heute mit einer Präzision von einer halben Dioptrie lasern, was bedeutet, dass die Patienten nachher brillenfrei sind. Aber Augenlaser-Chirurgie bedeutet auch, dass der Laser Hornhautgewebe entfernen muss, um sie neu zu formen. Dies schwächt in jedem Fall die Hornhaut zu einem gewissen Grade ab. Der erfolgreiche klinische Einsatz des Brillouin-Mikroskops würde bedeuten, dass Patienten, welche auf den ersten Blick eine normale Hornhaut haben, aber eine noch nicht entdeckte zugrundeliegende Schwächung ihrer Hornhaut aufweisen, vor der Augenlaser-Chirurgie identifiziert und von dieser ausgeschlossen werden können. Und es würde auch bedeuten, dass wir mit einer viel grösseren Präzision den Effekt eines einzelnen Laserpulses auf jedwelche Region der Patientenhornhaut vorhersagen können. Dies würde uns helfen, die Augenlaser-Chirurgie weiter zu verfeinern, um, so hoffen wir, eines Tages das perfekte Profil zu erreichen“.